Elektromobilität beschleunigt Klimawandel

von Winfried Wolf

Winfried Wolf hielt sich vom 3. bis 5. April in Salzburg auf und stellte an drei Veranstaltungen seine Kritik der Elektromobilität und seine Vorstellungen einer umfassenden Verkehrswende zur Diskussion. Wir publizieren eine Kurzversion seiner Argumente aus der Sozialistischen Zeitung (Red.).

Immer, wenn die Weltautobranche eine ökonomische und eine Glaubwürdigkeitskrise erlebt, präsentiert sie eine neue Reformidee: Katalysator. SwatchCar. Biosprit. Aktuell ist dies das Elektro-Auto, veredelt als «Elektromobilität».
Allen diesen «inneren Reformen» der Autogesellschaft gemein ist: Sie dienen einem grün lackierten Weiter so. Dabei sind gerade die Versprechungen der «Elektromobilität» tönern.

Elektromobilität bringt in der Summe ein Plus an CO2-Emissionen

Die reine CO2-Bilanz eines E-Pkw ist im Vergleich zu einem Benzin- oder Diesel-Pkw nicht wesentlich günstiger – dann, wenn der gesamte Lebenszyklus des Autos, Produktion und Entsorgung inbegriffen, betrachtet wird. Seit dem 17.April liegt eine vom Ifo-Institut veröffentlichte Studie von Hans-Werner Sinn und Christoph Buchl vor, wonach ein E-Auto sogar zwischen 11 und 28 Prozent mehr CO2-Emissionen verursacht als ein Diesel-Pkw.¹
Es gibt eine Reihe ergänzender Faktoren, die meine grundlegende These von zusätzlichen CO2-Emissionen durch E-Pkw unterstützen.
E-Autos sind zum großen Teil Stadtautos und Zweit- und Drittwagen. Bereits grundlegende Parameter wie Reichweite, Ladedauer und Ladestrukturen sprechen für einen solchen Einsatz. E-Autos sind damit auf absehbare Zeit Mobilitätsmittel für den gehobenen Mittelstand: für Leute, die über eine Garage mit Wallbox zum «intelligenten Strom tanken» (nachts von 1–3 Uhr) verfügen. Typisch ist das jüngst mit Henning Kagermann, dem Leiter der von der Bundesregierung eingesetzten «Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität» (NPM) geführte Interview. Auf die Frage, wie es seinem E-Pkw gehen würde, antwortete dieser: «Dem geht es sehr gut.» Im Verlauf einer ergänzenden Frage sagt Kagermann dann: «Wenn es dann mal Modelle gibt, die im Realbetrieb 400 km Reichweite haben, schaffe ich auch mein anderes Auto mit Verbrennungsmotor ab» (Berliner Tagesspiegel vom 8.April 2019). Damit hat der E-Auto-Vorzeige-Mann (im Interview als «Early Adopter» gepriesen) mit seiner Mobilität einen ökologischen Fußabdruck, der rund doppelt so groß ist wie der eines Durchschnittsdeutschen. Wohlgemerkt: in 20 Prozent der bundesdeutschen Haushalte gibt es gar kein Auto.
Mit den E-Autos wechseln oft Radfahrer und ÖPNV-Nutzende ins grün lackierte Gefährt. Damit erhöhen E-Pkw die Pkw-Dichte ausgerechnet dort, wo Pkw besonders schädlich sind: in den Städten.
In der E-Auto-Debatte gibt es einen bewusst eingebauten Denk- und Rechenfehler. Es geht immer nur um den «Anteil» der E-Autos – an der Produktion, am Verkauf oder im Bestand. Nie um die absolute Zahl von herkömmlichen Autos. Konkret wurden in China im Jahr 2018 1,6 Millionen Elektroautos verkauft. Im gleichen Jahr wurden jedoch 13 Millionen «normale» Pkw abgesetzt. 2018 wurden in Deutschland 70000 Elektro-Pkw verkauft. Gleichzeitig wuchs der Bestand an herkömmlichen Pkw um mehr als 600000.
Weltweit haben wir aktuell knapp 1 Milliarde Pkw und als Teil davon maximal 10 Millionen Elektroautos. 2025 werden es mindestens 1,3 Milliarden Pkw sein und davon maximal 120 Millionen Elektroautos. Das heißt: Die CO2-Belastung durch herkömmlich Pkw nimmt zu. Obenauf kommt als schmutziges Sahnehäubchen die Belastung, die von E-Pkw ausgeht.
VW führt aktuell in Europa und China eine gigantische Investitionsoffensive für Elektro-Pkw durch. Doch in Russland, in Südafrika oder in Lateinamerika sind Elektroautos erst gar kein Thema. O-Ton VW do Brasil: «Wir haben hier in Brasilien mit den Biokraftstoffen eine der besten Situationen, was die CO2-Bilanz angeht.»²

Wie gehabt: Der Strom kommt aus der Steckdose

Die Behauptung, Elektromobilität könne ganz oder so gut wie komplett mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen gespeist werden, ist absurd. In Deutschland können wir bereits froh sein, wenn der Atomstrom, der aktuell noch einen Anteil von 13 Prozent einnimmt, nach dem Abschalten der AKW im Jahr 2022 durch einen entsprechenden Zuwachs bei den Erneuerbaren ersetzt wird. Auf absehbare Zeit bleibt es bei 40 Prozent Strom aus Braunkohle und (importierter) Steinkohle. Mit entsprechender CO2-Bilanz. Klar ist auch: Millionen Elektro-Pkw erfordern einen Zubau von Stromkapazitäten.
In China werden zwei Drittel der Stromerzeugung in Kohlekraftwerken erzeugt. In Zukunft soll nur der Anteil des Kohlestroms sinken. Doch die absolute Menge an Kohle, die in Kraftwerken verfeuert wird, soll bis 2030 wachsen. Nicht zuletzt dank der Elektromobilität. Im Jahresbericht des Vereins der Kohleimporteure (in Deutschland) heißt es: «Totgesagte leben länger. Nach zwei Jahren mit rückläufiger gobaler Steinkohleförderung … hat sich der Markt deutlich erhöht … Der Kohleverbrauch hat global ein Hochplateau erreicht.» Vorausgesagt wird ein Wachstum der jährlichen Fördermenge «von 32 Mrd. Tonnen im Jahr 2014 auf 35,7 Mrd. Tonnen im Jahr 2040». Unter anderem dank der Elektromobilität.
Für das Klima sind nicht Anteile relevant, sondern die absoluten Mengen.
Vor allem: China hat derzeit 39 Atomkraftwerke. 15 Atomkraftwerke befinden sich in Bau. Zusätzliche zwei Dutzend befinden sich im Planungsstadium. Vor dem Klima-GAU droht der nächste AKW-GAU.

Peak Oil wird erweitert um neue Rohstoff-Peaks

In der Autogesellschaft der Zukunft wird die Abhängigkeit vom endlichen Rohstoff Öl – es werden, wie beschrieben, von Jahr zu Jahr mehr Pkw mit Verbrennungsmotoren! – ergänzt um die Abhängigkeit von endlichen Rohstoffen, die für die Elektromobilität entscheidend sind: Kupfer, Lithium, Kobalt und verschiedene Seltene Erden. Kriege um Öl werden erweitert um Kobalt-Militäreinsätze und Lithium-Kriege.

Es geht nicht um das Klima, es geht um China

Der chinesische Automarkt ist seit knapp einem Jahrzehnt der mit Abstand größte der Welt. Alle großen Autokonzerne sind von ihm abhängig. China verfügt in den meisten Industriebranchen, die für die Weltmarktkonkurrenz wichtig sind, über konkurrenzfähige Konzerne. Das gilt für Computer (Lenovo), für Smartphones (Huawei) und für Hochgeschwindigkeitszüge (CRRC). Doch ausgerechnet in der Autoindustrie gibt es in der Spitzengruppe keinen einzigen chinesischen Konzern. Die Weltautobranche wurde jedoch von der chinesischen Führung 2016 ausdrücklich als eine von zehn Industrien identifiziert, in der «China einen nationalen Champion, der auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig ist, schaffen» will.³
Dies soll mit Elektromobilität gelingen. Seit dem 1.Januar 2019 gilt in China die erste E-Auto-Quote: 10 Prozent aller in China hergestellten oder importierten Autos müssen Elektroautos sein. 2020 beträgt die Quote bereits 12 Prozent. Die westlichen Autokonzerne können da zunächst nicht mithalten. Sie dürfen sich wie im Mittelalter («Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt») jedoch mit erheblichen Summen freikaufen (durch den Kauf von «credits»). Auf diese Weise finanzieren sie den Aufstieg der chinesischen E-Auto-Konzerne. Der Anteil chinesischer Autokonzerne an der Weltautofertigung lag auch 2018 bei nur 5 Prozent. Doch bei Elektroautos stammt bereits jeder zweite E-Pkw von einem chinesischen Hersteller. In einer aktuellen Bilanz in der Süddeutschen Zeitung (20.4.2019) heißt es, China habe damit sein Etappenziel erreicht. Weiter: «Kein Wunder, dass Peking im nächsten Schritt der Welt auch die neuen Mobilitätsstandards diktieren und damit den Wettbewerbern … die Normen vorgeben will.»
Allerdings planen inzwischen die 29 weltweit größten Autohersteller eine gigantische Investitionsoffensive. 300 Milliarden US-Dollar werden in den nächsten zehn Jahren für Elektromobilität investiert. Die drei deutschen Hersteller VW, Daimler und BMW stemmen 46 Prozent dieser Summe. Die Internationale Energieagentur (IAE) ist begeistert, dass «die Zukunft elektrisch ist». Weil damit die Stromerzeugung massiv gesteigert wird – durch Elektromobilität.

Unwirksamer Austausch des ­Antriebsstrangs

Auch wenn alle Autos in Los Angeles Tesla-Modelle oder Nissan-Leaf-Modelle wären, bliebe es in dieser Stadt bei der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h und dem Dauerstau. Auch wenn alle 950 Millionen Pkw auf dem Planeten Elektroautos wären, bliebe es bei der einen Million Verkehrstoten im Jahr weltweit. Auch wenn in allen Großstädten die Verbrenner-Pkw durch Elektro-Pkw ersetzt würden, bliebe es bei einem Flächenverbrauch dieser Blechlawine, der mindestens viermal größer ist als im Fall einer Verkehrsorganisation, in der das Zufußgehen, das Radfahren und der öffentliche Verkehr im Zentrum stehen.
Eine überzeugende Verkehrswende fühlt sich anders an. Etwa so: Anfang 2019 diskutiert der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Münster im niederländischen Groningen darüber, wie der Anteil der Fahrradwege in Münster von aktuell 40 Prozent auf das Groningen-Niveau von 60 Prozent gesteigert werden kann. Addiert man Fußgängerwege (10 Prozent) und ÖPNV-Fahrten (20 Prozent) hinzu, dann bleibt für den Pkw-Verkehr ein Restmarktanteil, bei dem die Antriebsart einigermaßen unwesentlich ist.

Unwirksamer Austausch des ­Antriebsstrangs

Auch wenn alle Autos in Los Angeles Tesla-Modelle oder Nissan-Leaf-Modelle wären, bliebe es in dieser Stadt bei der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h und dem Dauerstau. Auch wenn alle 950 Millionen Pkw auf dem Planeten Elektroautos wären, bliebe es bei der einen Million Verkehrstoten im Jahr weltweit. Auch wenn in allen Großstädten die Verbrenner-Pkw durch Elektro-Pkw ersetzt würden, bliebe es bei einem Flächenverbrauch dieser Blechlawine, der mindestens viermal größer ist als im Fall einer Verkehrsorganisation, in der das Zufußgehen, das Radfahren und der öffentliche Verkehr im Zentrum stehen.
Eine überzeugende Verkehrswende fühlt sich anders an. Etwa so: Anfang 2019 diskutiert der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Münster im niederländischen Groningen darüber, wie der Anteil der Fahrradwege in Münster von aktuell 40 Prozent auf das Groningen-Niveau von 60 Prozent gesteigert werden kann. Addiert man Fußgängerwege (10 Prozent) und ÖPNV-Fahrten (20 Prozent) hinzu, dann bleibt für den Pkw-Verkehr ein Restmarktanteil, bei dem die Antriebsart einigermaßen unwesentlich ist.

Von Winfried Wolf erschien im März 2019 Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Wie die E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt (Wien: Promedia, 220 S., 17,90 Euro).

¹ Siehe www.morgenpost.de/wirtschaft/article216982009/Ifo-Studie-Elektroautos-klimaschaedlicher-als-Dieselautos.html.
² Zitiert in Focus, 20.November 2018.
³ Financial Times vom 11.September 2017.

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