Am 22. September 2018 fand in Bern eine große, von den Gewerkschaften organisierte Demonstration für Lohngleichheit statt. Diese Demonstration mit rund 20000 Teilnehmer*innen war ein starkes, wichtiges Zeichen und ein erster Schritt zu einem schweizweiten Frauen*streik am 14. Juni 2019. Wir veröffentlichen diesen Beitrag von Michaela Bovolenta um zur Diskussion für die Perspektiven nach dem Frauenvolksbegehren in Österreich anzuregen (Red.)

von Michela Bovolenta*; aus ssp-vpod.ch, auf deutsch erstmals auf sozialismus.ch veröffenticht.

Lasst uns unsere Forderungen nach Gleichheit und gegen Diskriminierung in die Straßen von Bern und auf den Bundesplatz tragen!

1. Weil Frauen ein niedrigeres Gehalt haben. Im Durchschnitt verdienen sie fast einen Fünftel weniger als Männer. Im öffentlichen Sektor beträgt die Lücke 16%. Diese Differenz wird auf Vollzeitbasis berechnet. Da die Mehrheit der Frauen Teilzeitarbeit leistet, beträgt die Lohndifferenz auf der Lohnabrechnung durchschnittlich 32%.
Wir wollen gleiche Löhne jetzt!

2. Weil die Arbeit von Frauen entwertet wird. Obwohl die Berufe geschlechtsneutral sind, bleibt die Arbeitswelt stark segmentiert. Zum Beispiel in der Kinderbetreuung, wo mehr als 90% der Arbeiter*innen weiblich sind: hier werden Qualifikationen nicht anerkannt, die Gehälter sind niedrig und der Sektor steht unter permanentem Druck, die Kosten zu senken.
Wir wollen den Wert von Arbeitsplätzen, die hauptsächlich von Frauen ausgeübt werden, erhöhen und die geschlechtsspezifische Aufteilung des Arbeitsmarktes aufheben!

3. Weil Teilzeitarbeit ein Betrug ist. In der Schweiz arbeiten fast 60% der Frauen Teilzeit, verglichen mit 16% der Männer. Die Quote beträgt sogar 80% für Mütter, welche Beschäftigung und Hausarbeit für einen halben Lohn kombinieren. Teilzeitarbeit ist oft gleichbedeutend mit unfreiwilliger Flexibilität, Unsicherheit, niedrigen Löhnen, schlechten Karrieremöglichkeiten und eingeschränkten Sozialversicherungs- und Rentenansprüchen.
Anstatt mehr Teilzeitarbeit zu verlangen, wollen wir die Arbeitszeit verkürzen!

4. Weil Hausarbeit nicht anerkannt wird. Noch immer verrichten Frauen zwei Drittel der für das Leben und die Reproduktion [der Arbeitskräfte] notwendigen Hausarbeit: Kinderbetreuung und -erziehung, Haushalt, Alten- und/oder Krankenpflege. Männer helfen ein wenig, aber die meiste Zeit verbringen sie mit Arbeit, Karriere und Freizeit.
Wir wollen, dass Hausarbeit gleichwertig bewertet und verteilt wird!

5. Wei die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Mythos ist. In der Schweiz ist das Arbeitsrecht schwach und hat sich seit dem 19. Jahrhundert kaum verändert. Das Arbeitsgesetz sieht den Schutz der Gesundheit von Schwangeren und Müttern vor, die kürzlich entbunden haben, erkennt das Recht auf Stillen an und gewährt bis zu drei Tage Urlaub pro Krankheit eines Kindes. Das wars dann auch schon. Wir haben hart für den Mutterschaftsurlaub gekämpft [welcher erst 2004 gesetzlich realisiert wurde]. Aber insgesamt gibt es keine Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Wir wollen mehr bezahlte Auszeiten, um unsere Kinder und Angehörigen zu versorgen!

6. Weil Gleichstellung öffentliche Dienstleistungen braucht. Um die Gleichstellung zu erreichen, müssen die öffentlichen Dienstleistungen gestärkt und an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet werden, einschließlich der Betreuung von Kindern und älteren Menschen. Seit Jahren werden die Leistungen jedoch aufgrund der Sparpolitik gekürzt. Meistens sind es Frauen, die die Verantwortung für das übernehmen, was der Staat vernachlässigt.
Wir wollen Ressourcen für einen qualitativ hochwertigen öffentlichen Dienst, der gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten garantiert!

7. Weil die Renten für Frauen 37% niedriger sind als für Männer. Aufgrund der Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind, und der unzureichenden Anerkennung unbezahlter Arbeit, haben Frauen eine geringe Rente. Und trotzdem wollen die bürgerlichen Parteien die Frauen zwingen, noch länger zu arbeiten.
Wir wollen eine Reform der AHV, die die Renten erhöht, nicht das Rentenalter!

8. Weil sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verschwinden muss. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist nach dem Gleichstellungsgesetz [1995] verboten. Dennoch ist es immer noch genauso schwierig, Vorfälle zu melden – sowohl für das Opfer, als auch für Informant*innen, weil diese nicht geschützt sind.
Wir wollen, dass das Gesetz durchgesetzt und den belästigten Frauen Gerechtigkeit widerfahren wird!

9. Weil wir mit Migrantinnen solidarisch sind. Eine Frau und eine Migrantin zu sein, bedeutet, doppelt diskriminiert zu werden und in den prekärsten, schwierigsten und schlecht bezahltesten Jobs zu arbeiten – wie z.B. die wachsende Zahl von Pflegekräften, die 24 Stunden am Tag arbeiten, unter Bedingungen, die der Leibeigenschaft näher sind als einer Beschäftigung.
Wir wollen eine offene Gesellschaft, die auf Respekt und Solidarität basiert und die gleichen Rechte für alle garantiert!

10. Weil Gewalt gegen Frauen unerträglich ist. In der Schweiz stirbt alle zwei Wochen eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Im Durchschnitt greift die Polizei aufgrund von häuslicher Gewalt vierzig Mal am Tag ein. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Frauen werden allzu oft mit Gewalt konfrontiert, deren fruchtbarer Boden der alltägliche Sexismus ist.
Wir wollen die geschlechtsspezifische Gewalt beenden und ohne Angst vor Übergriffen leben – sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause.

*Michela Bovolenta ist Zentralsekretärin des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPDO) in Lausanne.

Übersetzung durch die Redaktion von sozialismus.ch.

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