Zentraler Bestandteil eines System Change, um den Climate Change zu verhindern, ist die gesellschaftliche Aneignung der großen Energiekonzerne. Weshalb das so ist und wie das gehen könnte, zeigt Christian Zeller in diesem Artikel aus der Zeitschrift Antikap (Red.)

von Christian Zeller
Antikap Nr. 11, November 2019

Die Emissionen der Treibhausgase sind ausgesprochen ungleich verteilt, sowohl geographisch als auch organisatorisch. Wenige Grosskonzerne der Kohle-, Erdöl- und Gasindustrie verursachen einen Grossteil der Emissionen. Darum muss die Klimabewegung diese Konzerne direkt an den Pranger stellen und ihre gesellschaftliche Aneignung offensiv einfordern. Nur auf dieser Grundlage lässt sich ein Prozess des umweltverträglichen Um- und Rückbaus der gesamten fossilen Industrie organisieren.

1. Strategische Orientierung suchen

Die Erderwärmung stellt die Menschheit vor die grösste Herausforderung. Die internationale Klimabewegung hat in verschiedenen Ländern die politische Landschaft grundlegend verändert. Mit den riesigen Demonstrationen stellt eine neue Generation entschlossen und global sichtbar ihre eigene politische Tatkraft unter Beweis. Die Klimabewegung hat das Potential, das gesellschaftliche und politische Kräfteverhältnis weltweit zu verändern. Die Klimabewegung fordert mit immer grösserer Vehemenz einen radikalen Politikwechsel. Allerdings weigern sich die Regierungen, wirksame Massnahmen gegen die Erderwärmung und die daraus resultierende Klimakatastrophe zu ergreifen. Sie widersetzen sich jedem Schritt, der die Wettbewerbsposition des Kapitals in ihrem Land schwächen könnte.

Das am 9. Oktober von der deutschen Regierung vorgelegte Klimagesetz zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Regierungen nichts beschliessen, was die Wettbewerbsfähigkeit der grossen Konzerne im Land beschneiden würde. Angesichts der heraufziehenden Wirtschaftskrise und der geoökonomischen Spannungen zwischen den grossen Wirtschaftsblöcken werden die mächtigsten Kapitalgruppen die Regierungen weiterhin unter Druck setzen, ihre Politik auf das Primat der Wettbewerbsfähigkeit auszurichten. Gleichzeitig treiben wichtige Kapitalfraktionen das Projekt einer «grünen Modernisierung» voran. Die Integration grüner Parteien in die Regierungsverantwortung soll helfen, dieses Projekt abzustützen und der Klimabewegung ihre potentielle Radikalität zu nehmen. Die herrschenden Klassen werden im Verbund mit Grünen Parteien die Kosten der «grünen Modernisierung» auf die Masse der Lohnabhängigen abwälzen wollen. Das wiederum wird reaktionären, nationalkonservativen und (post-)faschistischen Kräften die Gelegenheit bieten, mit einer antiökologischen Rhetorik unter den Lohnabhängigen Einfluss zu gewinnen. Möglicherweise werden auch Teile der Gewerkschaften dafür empfänglich sein. Umso wichtiger ist es, eine ökosozialistische Klassenperspektive zu entwickeln und sich organisatorisch in der Klasse der Lohnabhängigen zu verankern.

Darum ist es wichtig, sich mit jenen auseinanderzusetzen, die seit der Durchsetzung des fossilen Kapitalismus für die grössten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind. Das sind die grossen Kohle-, Erdöl- und Gaskonzerne der Welt. Hier gilt es, konkrete Forderungen für einen industriellen Umbau zu entwickeln.


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2. Fossiler Kapitalismus und seine Konzerne

Die Erderwärmung ist ein Resultat der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise und der Industrialisierung. Bis zur Industrialisierung gab es keinen Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration. Erst die massive Verwendung zunächst von Kohle und dann von Erdgas und Erdöl als zentrale Energiequellen liessen den CO2-Ausstoss markant ansteigen. Ohne Einsatz der fossilen Energieträger hätte sich die kapitalistische Industrialisierung nicht durchsetzen können. Die diesem Produktionssystem entstammenden Treibhausgasemissionen haben laufend zugenommen. Weltweit beruhen gegenwärtig etwas mehr als 80% des Energiekonsums auf Kohle, Öl und Gas (ExxonMobil 2018: 12f). Die fossilen Treibstoffe sind die grösste Quelle der gesellschaftlich produzierten Treibhausgase. Auf die Industrie der fossilen Treibstoffe gingen im Jahr 2015 rund 70% der gesellschaftlich produzierten Treibhausgasemissionen zurück (Griffin 2017: 7).

Die rasche wirtschaftliche Entwicklung Chinas und die völlig ungenügende Reduktion der Treibhausgasemissionen in den USA, Australien und Europa haben dazu geführt, dass die CO2-Emissionen seit 1988, dem Jahr der ersten internationalen Klimakonferenz des Weltklimarats, stärker zugenommen haben, als von Beginn der Industrialisierung bis 1988 (Griffin 2017: 7; Heede 2019). Das Problem hat sich also in den letzten drei Jahrzehnten massiv verschärft, trotz aller Konferenzen und Bekenntnisse der Regierungen. All die internationalen Klimakonferenzen der Regierung haben den Eindruck vermittelt, es werde gehandelt. Eine Trendumkehr geschah jedoch nicht, ganz im Gegenteil.

Die Konzerne der Kohle-, Erdöl- und Erdgasindustrie stehen am Anfang zahlreicher Wertschöpfungsketten in den meisten Industrien. Deshalb überrascht es nicht, dass gerade die Konzerne, die in diesem Bereich tätig sind, für die Mehrheit der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, obgleich sie diese nicht alle selber in die Atmosphäre ausstossen. Den unmittelbaren Ausstoss des CO2 tätigen die Energiekonzerne, die weiterverarbeitende Industrie und die Konsument*innen, wenn sie Auto fahren oder ihre Wohnungen heizen. Weil es in der kapitalistischen Produktionsweise eine Tendenz zur Zentralisation des Kapitals gibt, dominieren transnationale Konzerne den fossilen Energiesektor. Daraus ergibt sich auch eine starke organisatorische Konzentration der Produktion der CO2-Emissionen.

Das Climate Accountability Institute fand in einer kürzlich veröffentlichen Studie heraus, dass die grössten 20 Konzerne des fossilen Sektors in der Zeit von 1965 bis 2017 gemeinsam 480 Milliarden Tonnen CO2- und Methan-Emissionen verursachten. Das entspricht 35% aller weltweiten Emissionen aus fossilen Treibstoffen und aus der Zementproduktion in diesem Zeitraum, die sich auf 1,35 Billionen Tonnen CO2 beliefen. Das Climate Accountability Institute hat mit einer umfangreichen Datenbank eine noch längere und breitere Betrachtung anlegt und kommt zum Schluss, dass 103 Konzerne der fossilen Treibstoffindustrie und der Zementindustrie knapp 70% (1221 Gigatonnen CO2 equivalent) aller weltweiten Emissionen seit 1751 emittierten. Davon waren alleine die grössten 20 Emittenten für 30% (526 Gigatonnen CO2) aller Emissionen aus dem fossilen Sektor und der Zementindustrie verantwortlich. Diese Konzerne tragen also eine zentrale Verantwortung für die bisherige Entwicklung und für alle Anstrengungen, die Emissionen zu reduzieren (Heede 2019; vgl. auch die Studie von Griffin 2017: 8).

Allerdings zeigen die Konzerne der fossilen Energieträger nicht die geringste Bereitschaft, ihre Strategien grundlegend zu verändern und auf die weitere Extraktion- und Verbrennung von Kohle, Öl und Gas zu verzichten. Eine Studie des Erdölkonzerns ExxonMobil schätzt, dass der Anteil der fossilen Energieträger um nur wenige Prozentpunkte auf etwas unter 80% im Jahr 2040 sinken werde (ExxonMobil 2018: 12f). Das sind gute Aussichten für die fossile Industrie, katastrophale Entwicklungen für die Menschen und Natur, die unter der Erderwärmung leiden werden.

ExxonMobil geht davon aus, dass die globale Energienachfrage von 2016 bis 2040 um 25% ansteigen wird. Das wäre so, als würde man den Energieverbrauch eines weiteren Nord- und Südamerika zur heutigen Energienachfrage dazufügen. Damit würden auch die energiebedingten CO2-Emissionen bis 2040 ansteigen (ExxonMobil 2018: 6, 30). Sollte ein solch ausgeprägtes Wachstumsszenario eintreten, führt das direkt zu einer umfassenden Klimakatastrophe. Bemerkenswert ist, dass Forscher*innen im Dienste von Exxon bereits 1982 die Zunahme der CO2-Konzentration der Atmosphäre erstaunlich genau voraussagten. Was den Konzern allerdings nicht daran hindert, die Öffentlichkeit jahrelang über die Konsequenzen dieser Zunahme der atmosphärischen CO2-Konzentration zu belügen (Der Spiegel 2019).

Doch nicht nur die Kohle-, Öl- und Gaskonzerne profitieren davon, dass das gesamte kapitalistische Produktionssystem auf fossilen Energieträgern beruht. Nicht überraschend haben die Eigentümer von Aktien der Unternehmen im fossilen Energiebereich vom Wachstum dieses Sektors stark profitiert. Die Anzahl der Milliardäre, die am Öl-, Gas- und Kohlegeschäft verdienen, stieg zum Zeitpunkt der Klimakonferenz in Kopenhagen 2010 bis zur Pariser Klimakonferenz 2015 von 54 auf 88. Der Wert ihrer kombinierten Vermögensbestände kletterte im gleichen Zeitraum um rund 50% von 200 Milliarden auf 300 Milliarden USD an (Oxfam 2015: 11). Das heisst, das anlagesuchende Finanzkapital und die Staaten zentralisieren über die Dividenden und Aktienpreissteigerungen einen beträchtlichen Teil der Profite dieser Konzerne. Alle grossen Investmentunternehmen – wie beispielsweise Blackrock und Vanguard – sind an Konzernen der fossilen Industrie beteiligt. In der Schweiz müsste man genauer untersuchen, wie stark die grossen Pensionskassen ihre Portfolios mit Aktien der fossilen Industrie anreichern.

Emissionen der grössten fossilen Konzerne gemessen in Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten und ihr Anteil in Prozent von 1965 bis 2017
Quelle: https://www.theguardian.com/environment/2019/oct/09/revealed-20-firms-third-carbon-emissions

3. Strategische Herausforderung

Die Zeit ist knapp. Der Weltklimarat (IPCC) fordert, dass die Emissionen sofort weltweit zurückgehen müssen: bis 2030 um 45% und bis 2050 auf Netto Null. Nur damit könne die Weltgesellschaft mit einer Wahrscheinlichkeit von bloss 50% die Temperatursteigerung auf maximal 1,5° C gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzen. Diese Zahlen berücksichtigen die historische Schuld der frühindustrialisierten Länder allerdings nicht. Viele Klimaforscher*innen argumentieren, dass die Treibhausgas-Emissionen noch wesentlich drastischer zurückgehen müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Sie kritisieren, dass der IPCC seine Empfehlungen massiv abschwäche, um den Regierungen nicht zu stark auf die Füsse zu treten.

Die fossilen Konzerne agieren weltweit. Sie verfügen nicht nur über eine enorme Kapitalmacht, sondern auch über weitreichenden politischen Einfluss. Keine Regierung hat gegenwärtig den Willen, sich den Interessen dieser Industrie entgegenzustellen. Bislang richtet sich die Klimabewegung an die Regierungen mit der Forderung, diese sollten endlich handeln. Das genügt nicht. Die Klimabewegung muss die fossilen Energiekonzerne und die Finanzunternehmen, die sie finanzieren, direkt anprangern und ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Für die Automobilindustrie gilt das gleichermassen. Die Netzwerke Ende Gelände und Verkehrswende praktizieren diese Strategie bereits ziemlich erfolgreich.

Breite Teile der Bevölkerung sind dafür zu gewinnen, die fossilen Konzerne einschliesslich der Autokonzerne und der Finanzkonzerne auf demokratische Weise gesellschaftlich anzueignen. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich, diese Konzerne kontrolliert und entsprechend den gesellschaftlichen Anliegen runterzufahren und komplett umzubauen. Dieser Rück- und Umbau bedeutet, dass sehr viele Menschen sich beruflich umorientieren müssen. Nur wenn sich diese Konzerne in gesellschaftlichem Eigentum befinden und demokratisch durch die Gesellschaft kontrolliert werden, ist es möglich zu garantieren, dass der erforderliche Rück- und Umbau nicht zu tiefen gesellschaftlichen Krisen führt. Die Konzerne müssen sich der Erforschung und Erzeugung erneuerbarer Energien zuwenden und umfassende Konzepte zur massiven Reduktion des gesamten Energieverbrauchs ausarbeiten. Dabei müssen die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Für ein solches Umbauprogramm muss die Klimabewegung allerdings die Gewerkschaften in den entsprechenden Sektoren gewinnen. Die Beschäftigten verfügen über ein spezialisiertes Wissen und über umfangreiche Erfahrungen. Diese müssen in diesen komplexen und radikalen Umbauprozess einfliessen.


Quellen

Blickpunkt Öl (2019): Ölreserven auf Rekordniveau Institut für Wärme und Oeltechnik e. V. (IWO), https://www.blickpunkt-oel.de/im-blickpunkt/oelreserven-auf-rekordniveau-2019. Zugriff 14. Oktober 2019

Der Spiegel (2019): Ölriese Exxon wusste schon 1982, wie stark die Erderwärmung 2019 ausfällt. Spiegel Online, 17. Mai 2019. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/exxon-sagte-co2-gehalt-der-atmosphaere-fuer-2019-genau-voraus-a-1267915.html.

ExxonMobil (2018): 2018 Outlook for Energy: A View to 2040: Irving, Texas, 62 S. https://corporate.exxonmobil.com/en/~/media/Global/Files/outlook-for-energy/2018-Outlook-for-Energy.pdf.

Griffin, Paul (2017): The Carbon Majors Database. CDP Carbon Majors Report 2017, Carbon Disclosure Project CDP: London, 16 S.

Heede, Richard (2019): Carbon Majors: Update of Top Twenty companies 1965-2017 (3), 9. Oktober 2019, Climate Accountability Institue,: Snowmass, Colorado. http://climateaccountability.org/pdf/CAI%20PressRelease%20Top20%20Oct19.pdf Zugriff: 10. Oktober 2019.

Oxfam (2015): Extreme Carbon Inequality, 2 December 2015, Oxford O. GB: Oxford, 12 S. https://www-cdn.oxfam.org/s3fs-public/file_attachments/mb-extreme-carbon-inequality-021215-en.pdf.

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