Die traditionelle Linke und die Menschenrechte in Venezuela

Anfang Juli veröffentlichte die ehemalige chilenische Präsidentin und aktuelle UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, einen Bericht über die katastrophale Menschenrechtslage in Venezuela. Sie kritisierte Folter und systematische Menschenrechtsverletzungen durch die venezolanische Regierung. Der Bericht bestätigt, was lokale Menschenrechtsorganisationen schon lange kritisieren und worüber wir auch schon mehrmals berichtet haben. Raúl Zibechi zeigt im nachfolgenden Artikel, wie sich Kritiker dieses Berichts einer Rhetorik bedienen, die an den Stalinismus und seine Anhänger*innen erinnert. Wir danken sozialismus.ch für die Übersetzung des Beitrags und die Zusammenstellung dieses Dossiers (Red.)

von Raúl Zibechi,
12. Juli 2019; aus La Brecha (Uruguay)

Als Michelle Bachelet während ihrer Präsidentschaft [2006-2010 sowie 2014-2018] die Mapuches unterdrückte und mit neoliberalen Unternehmern kollaborierte, war von den hegemonialen Linken und Progressiven keine Kritik zu hören. Andere, wie beispielsweise Verteidiger*innen der Rechte von Indigenen und Institutionen der Vereinten Nationen, kritisierten sie sehr wohl, da sie im Konflikt zwischen dem chilenischen Staat und dem Volk der Mapuches das Antiterrorgesetzt angewandt hatte.

Von den «Intellektuellen» des Progressismus kommt nun aber plötzlich gehörige Kritik an der ehemaligen Präsidentin Chiles. Der Grund ist, dass sie in ihrer Funktion als UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte mit glaubwürdigen und handfesten Informationen die systematische Gewalt des venezolanischen Regimes anprangerte. Die venezolanischen Staatsapparate (und einige vom Staat unterstützte Gruppen) sind monatlich für durchschnittlich 400 aussergerichtliche Morde verantwortlich. Bachelet verurteilte Folterungen, willkürliche Verhaftungen, sexuelle Gewalt und übermässige, teils tödliche Gewaltanwendung gegenüber Demonstrierenden.

Ein Grossteil der Kritiker*innen der Ex-Präsidentin Chiles – für die ich nicht die geringste Sympathie übrighabe – schwiegen, als sie das Volk unterdrückte. Jetzt aber eilen sie herbei, um einen Staat und seine repressiven Organe zu verteidigen. Ihre Motive sind geopolitischer Natur, da laut ihren schäbigen Analysen Venezuela ein Faktor darstelle im Kampf gegen die US-amerikanische Hegemonie in der Region und auf der ganzen Welt.

Genau genommen wiederlegen sie nicht die geringste Information des von Bachelet präsentierten Berichts. Vielmehr beschränken sie sich darauf, die Person zu diskreditieren. Einen Staat den Menschen voranzustellen, die sich in Bewegungen organisieren, ist an sich schon ein grosser Fehler. Doch die Ankläger zu verunglimpfen, ohne auf die Anschuldigungen einzugehen, verweist auf eine allzu bekannte Geschichte der globalen Linken: die Politik, die Stalin gegen seine politischen Gegner anwandte. Tausende Kommunist*innen und Millionen von Bolschewisten sind dadurch in Stalins Hände geraten, mit der stillschweigenden Komplizenschaft der grossen Mehrheit der Kommunist*innen auf der ganzen Welt.

Es heisst, dass wir, die wir uns auf die Ethik als Fundament der Politik berufen, naiv und unverbesserlich seien und dadurch unweigerlich dem Realismus der Gegner zum Opfer fallen würden. Jene, die so argumentieren, vergessen jedoch, dass die besten Traditionen des rebellischen Lagers und einige seiner grössten Errungenschaften durch einen groben Pragmatismus aufgefressen wurden. Dadurch verwandelten sich die Kräfte des Wandels in Unterdrücker, was jeglichen Versuch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, diskreditierte.

Die Katastrophen des Stalinismus (von der Spanischen Revolution bis hin zum Leuchtenden Pfad in Peru) wurden von seinen Söldnern nie richtiggehend analysiert. Es gibt immer noch Leute, die einen Vergewaltiger und Verbrecher gegen die Menschlichkeit wie Daniel Ortega verteidigen, stets unter dem Vorwand des Imperialismus und anderen Dummheiten.

Wir stehen an einem doppelten Wendepunkt der Geschichte, der die Welt für immer verändern wird. Auf der einen Seite sind die Konflikte zwischen den imperialistischen Ländern (USA, China, Russland) um die globale Hegemonie. Auf der anderen Seite stehen die Feministinnen und die Indigenen, die mit ihrem anti-patriarchalen und antikolonialen Kampf tiefe Risse in die Herrschaft schlagen.

Es ist unmöglich, auf beiden Seiten zu stehen. Jene, welche die Staatsgewalt und die Macht von oben wählen, werden entweder von den Bewegungen von unten verdrängt oder verwandeln sich in ihre Henker.

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