Die Weltklimakonferenz COP-25 in Madrid endete ohne Einigung und mit einem dürren Abschlussdokument. Der Verlauf dieser Konferenz dokumentiert mit aller Klarheit, dass die Herrschenden nicht in der Lage sind die Klimakatastrophen abzuwenden. Die Regierungen haben sich komplett der Wettbewerbsfähigkeit der großen Konzerne in ihrem Land verschrieben – die Regierungen der EU genauso wie jene der USA, Brasiliens, Saudi Arabiens und Chinas. Die EU präsentierte sich einmal mehr als Macht, die den Ernst der Lage begriffen habe und wirksame Maßnahmen fordere. Das ist eine Täuschung. Die EU treibt die marktbasierte Klimapolitik voran und wollte neue Kompensationsmärkte schaffen, damit die europäischen Konzerne und Länder ihre Reduktionsbemühungen in die peripheren Länder auslagern können. Auch für die europäischen Regierungen gilt: das Geschäft geht vor Klimaschutz. Die brasilianische Regierung unter Führung des Klima-Leugners Bolsonaro wollte diese Logik nur auf die Spitze treiben, alte Emissionsrechte weiterhin im Spiel lassen und sich die Aufforstung von niedergebrannten Wäldern vergolden lassen. Die Herrscher in Saudi Arabien wollen ihrerseits noch so viel Öl wie möglich verkaufen. Die chinesische Führung hat sich einem produktivistischen Wachstumskurs mit allen Konsequenzen für die Natur verschrieben. Und die USA widersetzen sich konsequent ebenfalls allen Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit ihrer großen Konzerne auch nur ansatzweise schmälern könnte. Genau weil alle sich der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Konzerne verschrieben haben und es keine anerkannte Hegemonialmacht mehr gibt, können sie sich nicht einigen. Sollte der Wirtschaftsabschwung in eine Krise münden, wird sich diese Konkurrenzlogik noch verschärfen. Die Spielräume werden enger.

Von diesen Regierungen und ihren Konferenzen lassen sich nicht die geringsten Fortschritte erwarten. Die Klimabewegung sollte aufhören den Mächtigen hinterherzurennen und an ihren Konferenzen teilzunehmen. Es geht darum, die Mächtigen zu delegitimieren und sie in Frage zu stellen. Es geht darum Gegenmacht aufzubauen – am Arbeitsplatz, am Wohnort, an der Uni, in der Schule und zusammen auf der Straße. Es geht darum eine revolutionäre ökosozialistische Alternative zu entwickeln.

Wir publizieren hier die Analyse der bisherigen Weltklimakonferenzen des profilierten Ökosozialisten Daniel Tanuro. Er verfasste den Beitrag am 25. November unmittelbar vor Beginn der Konferenz in Madrid. Wir danken der Zeitschrift „die Internationale“ für die Übersetzung (Red.)

von Daniel Tanuro

Die 25. Konferenz der Vertragsparteien der UN-Klimarahmenkonvention (COP25) findet in diesen Tagen in Madrid statt. Dieser Gipfel sollte ursprünglich in Santiago stattfinden, aber der chilenische Präsident hat davon lieber Abstand genommen. Die COP versammelt gewöhnlich 10 000 Menschen: Es musste vermieden werden, dass sie die brutale Unterdrückung der Erhebung gegen die ultraliberale Politik der Piñera-Regierung miterleben.

Zur Erinnerung: Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen wurde 1992 auf dem Erdgipfel in Rio verabschiedet. Es setzt sich zum Ziel, dass die Staaten „gefährliche anthropogene Einflüsse“ auf das Erdklima verhindern sollen. Die Überwachung dieser Verpflichtung soll durch die seit 1995 jährlich stattfindenden Vertragsstaatenkonferenzen (COP) sichergestellt werden. Die von Madrid wird die fünfundzwanzigste sein.

Eine negative Bilanz von A bis Z

Die Bilanz dieses Prozesses ist von A bis Z negativ. Von der COP1 bis zur COP24 haben sich die Regierungen darauf konzentriert, Wege zu finden, um ihre Emissionen nicht zu reduzieren, sie durch andere verringern zu lassen oder so zu tun, als würden sie sie durch Umverteilung reduzieren, oder neue Märkte zur Kompensation ihrer Bemühungen zur Reduzierung auf homöopathische Dosen zu finden, oder um die absurde Idee akzeptabel zu machen, das Nicht-Abholzen eines Baumes käme dem Verzicht auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe gleich.

Das Ergebnis dieser Haltung ist, dass der jährliche Ausstoß des Haupttreibhausgases CO2 mehr als 60 % über dem Niveau von 1990 liegt und heute noch schneller zunimmt als im 20. Jahrhundert. Infolgedessen betrug die atmosphärische CO2-Konzentration 350 ppm [1] im Jahr 1990 und aktuell 415 ppm. Dieses Niveau hat es seit dem Pliozän (vor 1,8 Millionen Jahren) nicht gegeben. Damals lag der Meeresspiegel 20 bis 30 Meter höher als heute …

Verbrechen gegen Mensch und Natur

In dem in Rio angenommenen Text wurde die Größe der „gefährlichen anthropogenen Störung“ nicht definiert. Diese große Lücke war Ergebnis des Drucks der multinationalen Öl-, Kohle- und Gasunternehmen sowie der vielen Sektoren der kapitalistischen Wirtschaft, die direkt von diesen fossilen Energiequellen abhängen (Automobilindustrie, Petrochemie, Schiffbau und Luftfahrt usw.). Die großen Öl- und Kohleunternehmen, die sich auf die ihnen zu Diensten stehenden Staaten rückhaltlos verlassen können, haben Pseudowissenschaftlern, die in der öffentlichen Meinung für die Verbreitung grober Klima-leugnender Lügen verantwortlich sind, Millionen von Dollar gezahlt.

Seit 1992 wird skrupellos alles getan, um die fossilen Reserven so lange wie möglich zu nutzen und so das Platzen einer „Kohlenstoffblase“ zu verhindern. Die für diese Manöver Verantwortlichen und ihre politischen Komplizen sollten vor Gericht gestellt und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Natur verurteilt werden.

Maximal 2°C oder 1,5°C?

Erst auf der COP21, ein Vierteljahrhundert nach Rio, wurde eine Entscheidung über die Höhe der Erwärmung getroffen, die nicht überschritten werden darf. Das in der französischen Hauptstadt verabschiedete Abkommen sieht vor, dass die Klimapolitik darauf gerichtet ist, „den Temperaturanstieg weit unter 2°C zu halten und gleichzeitig die Anstrengungen fortzusetzen, um 1,5°C nicht zu überschreiten“. Doch dieser mehrdeutige Text (was ist das Ziel: 2°C oder 1.5°C?) nennt keine Maßnahmen und sieht keine Sanktionen gegen Länder vor, die ihren Teil der Anstrengungen nicht leisten. Es werden nicht einmal die fossilen Brennstoffe erwähnt, die doch die Hauptursache für die Zunahme des Treibhauseffekts sind!

Der im Oktober 2018 veröffentlichte IPCC-Sonderbericht [2] lässt keinen Zweifel offen: Entgegen dem, was uns die Mainstream-Medien und Politiker seit mehr als zwanzig Jahren erzählen, wäre eine Erwärmung von 2°C für Menschen und Natur viel zu gefährlich. Ein Beispiel unter vielen: Die grönländische Eiskappe enthält genug Eis, um den Meeresspiegel um 7 Meter anzuheben. Experten gehen jedoch davon aus, dass der Punkt, an dem ihr Abschmelzen unumkehrbar wird, irgendwo zwischen 1,5°C und 2°C Temperaturanstieg liegt …

Das Gespenst einer „Heißzeit“

Es gibt keine Gefriertruhe, in die man den Globus stellen könnte, um ihn abzukühlen. Mit anderen Worten: Einmal angestoßen wird es unmöglich sein, diesen Prozess des Abschmelzens von Grönland (oder anderer Eiskappen) zu stoppen, bis ein neues Energiegleichgewicht des Systems Erde erreicht ist. In der Zwischenzeit besteht die Gefahr, dass dieses Abschmelzen eine Kette „positiver Rückkopplungen“ [3] auslöst: Umwandlung von Amazonien in eine Savanne, Auflösung der riesigen antarktischen Gletscher [4], irreversibles Auftauen des Permafrosts… Ein gigantischer Dominoeffekt könnte schnell zu einem Anstieg der durchschnittlichen Oberflächentemperatur der Erde um 4 bis 5°C führen.

Die Experten befürchten, dass eine galoppierende Erwärmung den Globus aus dem relativ stabilen Bereich, in dem er seit 1,5 Millionen Jahren oszilliert (abwechselnde Eiszeiten und Zwischeneiszeiten), verdrängt. Die Erde würde dann in einen neuen Zustand ähnlich dem des Pliozän kippen: eine „Heißzeit“ [5]. Es ist unmöglich, sich ein solches Umkippen vorzustellen, aber eines ist absolut sicher: Wenn unsere Spezies überlebt, dann nicht mit einer Population von sieben oder acht Milliarden Menschen, und die Armen werden mit Sicherheit die Hauptopfer der Katastrophe sein – die wichtigste „Anpassungsvariable“ (wie immer)… Die unmenschliche Politik gegenüber den Migrantinnen und Migranten erlaubt es, sich die Konturen dieser Barbarei vorzustellen.

Unter 1.5°C bleiben – ist das noch möglich?

Derzeit beträgt die Erwärmung ca. 1,1°C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter. Beim aktuellen Anstieg der Emissionen wird die Grenze von 1.5°C im Jahre 2040 überschritten. Es muss alles getan werden, um dies zu verhindern. Aber ist das noch möglich? Das ist leider nicht sicher. Absolut nicht sicher!

25 Jahre Klimakonferenzen, 25 Jahre Temperaturerhöhung, Grafik: NASA, Wikimedia

Der 1,5°C-Bericht des IPCC enthält vier Stabilisierungsszenarien unterhalb der Gefahrenschwelle (mit nur einer Erfolgschance von 1:2!). [6] Drei dieser vier Szenarien sind abzulehnen. Sie basieren nämlich auf der irrsinnigen Idee eines „vorübergehenden Überschreitens“ von 1.5°C, dem dann anschließend eine Kühlung durch den Einsatz bestimmter Technologien folgt.

Diese als „negative Emissionen“ bezeichneten Technologien sollen Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernen. Aber vorausgesetzt, sie funktionieren (und in ausreichendem Umfang!) [7] und angenommen, dass der der Atmosphäre entzogene Kohlenstoff an sicheren Orten gelagert werden kann, aus denen er nicht entweichen wird, wäre die Situation an diesem Punkt doch so angespannt, dass die Gefahr irreversibler Schäden durch das „vorübergehende Überschreiten“ sehr real wäre. Zum Beispiel würde der Beginn des Abschmelzen des grönländischen Inlandeises … das Fallen der Dominosteine starten, das zur „Heißzeit“ führen würde!

Das vierte Szenario würde es ermöglichen, unter 1,5°C zu bleiben, ohne „zeitweiliges Überschreiten“ und somit ohne „negative Emissionstechnologien“. Es erfordert eine drastische Verringerung der weltweiten Netto-CO2-Emissionen: -58 % bis 2030, -100 % bis 2050, negative Emissionen zwischen 2050 und 2100. [8] Dieses Szenario kann in seiner jetzigen Form nicht akzeptiert werden, da es (wie die anderen) eine starke Ausweitung des Anteils der Kernenergie vorsieht (+50 % im Jahr 2030, +150 % im Jahr 2050, das sind etwa 200 zusätzliche Kraftwerke, was zu einer erheblichen Zunahme des Risikos nuklearer Konflikte führt). Daraus lässt sich jedoch ableiten, dass der erforderliche Rückgang der Emissionen nicht ohne eine starke Verringerung des weltweiten Energieverbrauchs (um 20 % im Jahr 2030 und um 40 % oder mehr im Jahr 2050) erreicht werden kann und dass dieser Rückgang wiederum nicht möglich ist, ohne dass die Produktion und der Verkehr deutlich zurückgehen. [9]

Ein Notfallplan ist nötig

Es ist zu spät, eine Katastrophe zu verhindern: Um uns herum entwickelt sie sich bereits. Dies belegen die intensiveren Hitzewellen, die heftigeren Wirbelstürme und Taifune, das beschleunigte Schmelzen der Gletscher in Grönland und der Antarktis, der Anstieg des Meeresspiegels, der schneller ist als erwartet, heftigere Stürme und Niederschläge, die Störung der Monsune, die tödlichen Waldbrände und viele andere Phänomene, von denen die Medien fast täglich berichten. Ganz zu schweigen von der sehr schnellen Verminderung der biologischen Vielfalt (zum Teil durch den Klimawandel verursacht) und anderen Aspekten der „ökologischen Krise“ (einschließlich der Verschmutzung durch synthetische Chemikalien und radioaktive Nuklide).

Der gesunde Menschenverstand – oder besser gesagt der Überlebensinstinkt! – verlangt die schnellstmögliche Ausarbeitung eines weltweiten Notfallplans zur Rettung des Klimas und der biologischen Vielfalt unter Beachtung sozialer und Klimagerechtigkeit in einer möglichst breiten Demokratie – also den radikalen Abbau der durch den Neoliberalismus geschaffenen skandalösen sozialen Ungleichheiten. Dieser Plan muss den Energie- und Finanzsektor sozialisieren (ohne Entschädigungen oder Rückkauf), da es anders keinen Weg zur Sicherung des Klimas gibt. Er muss alle unnötigen und schädlichen Produktionen (z. B. Waffen) und alle unnötigen Transporte abschaffen, da dies der einfachste Weg ist, die Emissionen drastisch und schnell zu reduzieren. Auf diese Weise würde ein Spielraum für Investitionen in die Energieeffizienz (insbesondere durch Sanierung/Dämmung von Gebäuden) und für den Aufbau eines neuen Energiesystems, das sich zu 100 % auf erneuerbare Energiequellen stützt, geschaffen.

Paradigmenwechsel: Pflege vs. Produktion, realer Bedarf vs. Profit

Im Rahmen dieses Plans sollten Agrobusiness, Fleischindustrie, Industriefischerei und Industrieforstwirtschaft durch Agroökologie, Kleinfischerei, Weidetierhaltung und ökologische Forstwirtschaft ersetzt werden. Diese tiefgreifenden Veränderungen, die in die Perspektive der Ernährungs- und Energiesouveränität eingebettet sind, würden es ermöglichen, sowohl die Emissionen erheblich zu senken als auch die biologische Vielfalt zu schützen, die Gesundheit zu verbessern und Hunderte Millionen sinnvoller Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Plan impliziert einen kompletten Paradigmenwechsel. Der Profit muss hinter den realen Bedürfnissen zurückstehen, der Produktivismus muss der Fürsorge von Mensch und Natur Platz machen. Es geht darum, die Schäden des Kapitalismus, des Kolonialismus und des Patriarchats zu beheben. Das bedeutet, dem Süden die Mittel für eine kohlenstofffreie Entwicklung zu geben, allen Menschen eine soziale Sicherheit zu bieten, die diesen Namen verdient, den Frauen gleiche Rechte und das auf Kontrolle ihrer Fruchtbarkeit zu garantieren, und den öffentlichen, halböffentlichen und nichtmarktbestimmten Sektor erheblich auszuweiten. Gesichert durch die Schaffung neuer Tätigkeiten und die drastische Verringerung der Arbeitszeit auf 15 Stunden/Woche (ohne Lohneinbußen und mit sinkendem Arbeitsrhythmus) [10] würde die Vollbeschäftigung zu einer gleichermaßen ökologischen und sozialen Forderung werden. Die Verteilung der notwendigen Arbeit ist im Übrigen unerlässlich, damit alle demokratisch an der Planung und Durchführung des Plans sowie an der Hausarbeit beteiligt werden können.

Es gibt keinen Ausweg aus der Systemkrise außer einer antikapitalistischen Alternative. Um der Katastrophe Einhalt zu gebieten und eine Katastrophe zu verhindern, ist es unabdingbar, weniger zu produzieren (für den tatsächlichen Bedarf zu produzieren), weniger zu transportieren (der größte Teil des Verkehrs dient lediglich der Maximierung des Gewinns der multinationalen Konzerne), mehr zu teilen (vorrangig Wohlstand teilen und die notwendige Arbeit umverteilen). Diese ökosozialistische Perspektive ist auch notwendig, um die vom Kapital verursachte zivilisatorische Krise zu überwinden, denn es gibt keine Freiheit für die illusorische Verfolgung eines grenzenlosen Konsums auf Grundlage einer grenzenlosen Ausbeutung der Erde und der Menschen. Der Konsumismus ist nur ein erbärmlicher Ausgleich für ein elendes Leben.

Nichts zu erwarten von der COP

Es versteht sich von selbst, dass diese Alternative nicht Ergebnis der COP sein kann. Bei diesen Gipfeltreffen versuchen die Regierungen– bestenfalls! – die Quadratur des Kreises: Vermeidung einer Katastrophe bei gleichzeitiger Gewährleistung der weiteren Akkumulation von Kapital und der Aufrechterhaltung des neoliberalen Regimes (d. h. des für die Akkumulation bei sinkenden Gewinnen und allgemeiner Überproduktion erforderlichen Regimes). Aus diesem Grund führt die kapitalistische Akkumulation, trotz der Protokolle, der CO2-Steuern, der handelbaren Emissionszertifikate, der „umweltgerechten Entwicklung (MDP)“, der „Klimafinanzierung“, der jährlichen Klimakonferenzen (COP) und all dem Täterätä die Menschheit unaufhaltsam in die „Heißzeit“.

Mehr als ein Vierteljahrhundert nach Rio kommt die Katastrophe von COP zu COP näher. Die COP25 wird diesen Trend nicht umkehren. Einer der wichtigsten Diskussionspunkte wird der neue „Marktmechanismus“ im Pariser Vertrag (Artikel 6) sein. Dieser Mechanismus sollte die Regelungen zum „Ausgleich von CO2-Emissionen“ verallgemeinern und ausweiten, die seit dem Kyoto-Protokoll eingeführt – und weit verbreitet – sind („Mechanismus für eine umweltgerechte Entwicklung (CDM)“ und „Gemeinsame Umsetzung (JI)“ sowie die Waldschutzprogramme REDD und REDD+). Die noch nicht abgeschlossenen Debatten über die Konkretisierung des Artikels 6 von Paris auf der COP24 (Katowice) haben gezeigt, dass es immer um die gleiche Frage geht: Mit der einen Hand in der Praxis die prinzipiellen Verpflichtungen wieder rückgängig zu machen, die man mit der anderen unterschrieben hat.

Das Scheitern des grünen Kapitalismus, das System in der Sackgasse

Die Medien haben den Erfolg der COP21 begrüßt. Tatsächlich sind die Regierungen aber bei der Schlüsselfrage gescheitert, die die Antwort auf die Aufgabe des Klimaschutzes im Rahmen des Marktes bestimmt: die Festsetzung eines globalen Kohlenstoffpreises. Dieser Misserfolg wird nicht leicht wieder gutzumachen sein. Vier Jahre nach Paris ist eine IWF-Veröffentlichung bezeichnend für die Sackgasse. Die Autoren schreiben, dass der Klimawandel „im Extremfall das Aussterben des Menschens“ zur Folge haben könnte. Unglücklicherweise fahren sie fort, dass „die große Kluft zwischen den privaten und gesellschaftlichen Renditen bei Investitionen in verringerte CO2-Emissionen auch in Zukunft bestehen bleiben dürfte, da die künftigen Wege der Kohlenstoffbesteuerung und -preisgestaltung sehr ungewiss sind; insbesondere aus wirtschaftspolitischen Gründen (sic). Das bedeutet, dass es nicht nur an einem Markt für eine aktuelle Minderung des Klimawandels mangelt, weil Kohlenstoffemissionen nicht besteuert werden, sondern auch an Märkten für die künftige Minderung, was für die Rendite privater Investitionen in Klimaschutztechnologien, -infrastruktur und -kapital wichtig wäre.“ [11]

Übersetzung dieses technokratischen Kauderwelschs: Man müsste handeln, um das Verschwinden der Menschheit zu verhindern, aber das ist nicht rentabel; die Ertragsdifferenz zwischen dem Überleben der 99 % und den Profiten der 1 % „bestehen bleiben dürfte“, denn es gibt keine Weltmacht, die in der Lage wäre, einen Kohlenstoffpreis durchzusetzen, der alle Kapitalisten in gleichem Maße bei ihrem Profitstreben trifft. Also tun wir nichts. Könnte es ein besseres Beispiel dafür geben, dass der Kapitalismus nichts anderes zu bieten hat als Zerstörung und Tod?

Die Unfähigkeit der Regierungen angesichts der Umweltkrise, insbesondere der Klimakrise, ist nicht das Ergebnis eines mysteriösen Schicksals oder der Perversität der menschlichen Natur, sondern das Ergebnis von fünf strukturellen Faktoren: der dem Kapitalismus innewohnende Produktivismus verhindert, weniger zu produzieren; das neoliberale Akkumulationssystem verhindert die Entwicklung eines öffentlichen Plans; der Widerspruch zwischen der Internationalisierung des Kapitals und dem nationalen Charakter der Staaten macht es unmöglich, die globale Herausforderung anzugehen; die imperialistische Führungskrise macht es unmöglich, auch nur ein Mindestmaß an Ordnung in der kapitalistischen Unordnung zu gewährleisten (dieser Faktor wird durch Donald Trumps Klima-Leugnung noch verschärft); schließlich hindert die Krise der auf elektoralistischer Demagogie basierenden bürgerlichen Demokratie über Zeiträume von mehr als drei Jahren zu denken. All dies ist das Produkt des im Endstadium befindlichen kapitalistischen Systems, das, wie Marx sagte, „die beiden einzigen Quellen jeglichen Reichtums erschöpft hat: die Erde und die Arbeiterin/den Arbeiter“.

Ende der Welt, Ende des Monats, der gleiche ökosozialistische Kampf

Der Gedanke, dass eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung der Arbeit, Rassismus, Patriarchat, Homophobie, kolonialer Arroganz, Gewalt, Machtmissbrauch und der Vertiefung der Ungleichheit beruht, plötzlich respektvolle, achtsame, kooperative, friedlich und behutsame Beziehungen mit (dem Rest) der Natur pflegen könnte, ist absurd. Wie können wir glauben, dass wir in der Lage wären, anderen Lebewesen nicht das anzutun, was wir uns selbst zumuten? Wie kann man sich vorstellen, dass ein System, das tagtäglich Arbeitskräfte ausbeutet, auf die Plünderung anderer natürlicher Reichtümer verzichtet? Wie kann man annehmen, dass eine Gesellschaft die „Dienste“ der Natur respektieren kann, wenn sie die von der Hälfte der Menschheit, den Frauen, im Rahmen der sozialen Reproduktion kostenlos geleisteten Dienste missachtet?

Man wird die Beziehungen zwischen Mensch und Natur nicht grundlegend ändern, ohne die Beziehungen zwischen den Menschen grundlegend zu verändern. Sich auf eine Weise um uns selbst zu kümmern, die unserer Menschlichkeit würdig ist, ist die conditio sine qua non, um sorgsam mit dem umzugehen, was uns gehört.

„Ende der Welt, Ende des Monats: gleicher Feind, gleicher Kampf“, [12] hieß es auf Kundgebungen, die das Zusammengehen der Gelb-Westen und der Klimademonstrant*innen in Frankreich zum Ausdruck gebracht haben. Dieser Slogan drückt den Kern der Frage aus: Die Bekämpfung der sozialen Zerstörung und die Bekämpfung der ökologischen Zerstörung sind zwei Dimensionen ein und desselben ökosozialistischen Kampfes. Die Lösung besteht nicht darin, Druck auf die COP auszuüben. Sie besteht in der Konvergenz der Kämpfe der Ausgebeuteten und Unterdrückten für eine andere Welt, die notwendig, möglich und wünschenswert ist.

[1] Die ppm (parts per million) sind eine Konzentrationseinheit. 350 ppm CO2 bedeutet, dass von einer Million Molekülen 350 CO2-Moleküle sind. In den 800 000 Jahren vor dem 20. Jahrhundert lag die CO2-Konzentration zwischen 220 und 280 ppm.

[2] IPCC-Sonderbericht 1,5°C

[3] So nennt man Erwärmungseffekte, die die Erwärmung beschleunigen.

[4] Die destabilisierten Thwaites- und Totten-Gletscher (West- und Ostantarktis) enthalten genügend Wasser, um den Meeresspiegel um etwa 7,5 m anzuheben.

[5] Am 06.08.2018 löste ein Bericht in der Fachzeitschrift PNAS ein großes Medienecho aus. Dort wurden die verschiedenen positiven Rückkopplungen mit ihren Schwellwerten und möglichen Auswirkungen zusammengestellt. Der heute erreichte CO2-Gehalt entspreche dem des Pliozän und mit dem Überschreiten der Schwellwerte würde sich das Klima unweigerlich zurück zur damaligen „Hothouse Earth“ entwickeln. Der deutsche Klimaforscher Schellnhuber prägte dafür den Begriff „Heißzeit“: Pressemeldung des PIK

[6]IPCC-Sonderbericht 1,5°C, Zusammenfassung für Entscheidungsträger, deutsche Übersetzung

[7] Die ausgereifteste Technologie für negative Emissionen ist Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -bindung. Auf diese Weise wenigstens 10 % der jährlichen CO2-Emissionen zu entfernen, würde ca. 20 % der landwirtschaftlichen Fläche für den Anbau von Biomasse erfordern…

[8] Bei Berücksichtigung der „differenzierten Verantwortlichkeiten“ zwischen Nord und Süd bedeutet eine weltweite Reduktion um 58 %, dass die Industrieländer 65 % reduzieren müssen.

[9] Für den Energieverbrauch nennt der IPCC Zahlen von -15 % im Jahr 2030 und -32 % im Jahr 2050. Sie werden unterschätzt, da sie auf der Annahme beruhen, dass die Kernenergie im „Energiemix“ stark zunimmt (+59 % im Jahr 2030, +150 % im Jahr 2050 – das wären rund 200 zusätzliche Kraftwerke). Wenn man die Kernenergie ausschließt (und man sollte sie ausschließen!), müsste der weltweite Energieverbrauch eher um 20 % im Jahr 2030 und um 40 % im Jahr 2050 sinken. Auf jeden Fall erfordert eine solche Reduzierung eine erhebliche Produktions- und Transportreduktion.

[10] Alle anderen Bedingungen bleiben gleich; die Höchstzahl der Arbeitsstunden, die mit dem CO2-Restbudget vereinbar wäre, würde in den OECD-Ländern 16 Stunden/Woche betragen (bei einem CO2-Budget von 2°C). Philipp Frey, „The ecological limits of work“, Autonomy, April 2019.

[11]IMF WP/19/185, Sept 2019.

[12] Fin du monde, fin du mois – etwas ironisch zugespitzt drückt dieser Slogan aus, dass die Ökolog*innen, die das Ende der Welt näher kommen sehen, und die Gelb-Westen, die sich mehr sorgen, wie sie am Ende des Monats mit dem Geld auskommen, zusammen kämpfen [d. Üb.]

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