Diese Wochenende versammeln sich tausende Aktivist*innen im rheinischen Braunkohlerevier. Heute Freitag haben sich Mitglieder von Aufbruch für eine ökosozialistische Alternative an der internationalen Demonstration von Fridays for Future in Aachen beteiligt. Morgen finden Demonstrationen und Blockaden im Braunkohlerevier statt. Das Ziel ist es, die Kohle-Infrastuktur zu blockieren um einen sofortigen Ausstieg zu fordern. Wir veröffentlichen hier das Interview mit einer Aktivistin von „Ende Gelände“, welches zuvor auf marx21 veröffentlicht wurde. Wir unterstützen diese Kämpfe aktiv, denn auch wir sind der Meinung, dass die Krise aufgehalten werden kann, wenn wir jetzt selbstbestimmt handeln. (Red.)

von Hans Krause
aus marx21

Nach dem Erfolg im Hambacher Forst macht das Bündnis »Ende Gelände« Mitte Juni die nächste Massenblockade des Kohleabbaus im Rheinland. Warum sich das auch gegen den Kapitalismus richtet, erklärt Nike Mahlhaus.

marx21:Seit einigen Monaten steht »Fridays for Future« im Mittelpunkt der Klimabewegung. Seid ihr von »Ende Gelände« sauer, weil ihr weniger Aufmerksamkeit bekommt?

Nike Mahlhaus: Im Gegenteil, das finden wir großartig! Uns geht es um Klimagerechtigkeit, wir wollen, dass unsere Lebensgrundlagen nicht zerstört werden. Da freuen wir uns über alle, die mit uns kämpfen.

»Fridays for Future« mobilisiert zur internationalen Großdemonstration für Klimaschutz am 21. Juni in Aachen und wir laden sie herzlich ein zur Blockade des Braunkohletagebaus Garzweiler von RWE von 19. bis 24. Juni.

Was hältst du von den Forderungen von »Fridays for Future«?

Die sind gut, gehen aber noch nicht weit genug. »Fridays for Future« fordert den Kohleausstieg bis 2030. Aber um das Klima zu schützen, muss der Ausstieg sofort passieren.

Würde dann nicht der Strom knapp?

Nein. RWE und E.ON exportieren Strom ins Ausland, weil sie mehr produzieren, als verbraucht wird. Die Stromnetze sind sozusagen verstopft, sie wären stabiler, wenn wir die Überproduktion beenden würden.

Und eine weitere Absurdität ist, dass die Herstellung von Wind- und Sonnenenergie begrenzt wird, damit die Kohlekraftwerke weiterlaufen können.

Wie ist das möglich?

Es gibt keinen technischen Grund, die Kohlekraftwerke weiterlaufen zu lassen. Es gibt nur einen wirtschaftlichen: die Profite von RWE und anderen Konzernen. Alle Energiewissenschaftlerinnen und  -wissenschaftler sagen, dass wir die Kohle im Boden lassen können, wenn wir konsequent die erneuerbaren Energien ausbauen.

Können wir wirklich dauerhaft nur mit erneuerbarer Energie leben?

Ja, wenn wir den Kapitalismus überwinden und dadurch den unsinnigen Zwang zur Verschwendung von Energie beenden. In diesem Wirtschaftssystem werden riesige Mengen Energie für die Herstellung von Waffen verbraucht. Und wir bauen immer mehr Autos, obwohl wir wissen, dass wir auf öffentlichen Verkehr setzen müssen.

Kapitalismus überwinden …?

Der Kapitalismus funktioniert nur mit fortwährendem Wachstum, Ausbeutung und dem ständigen Streben nach Profit. Damit kann man das Klima nicht schützen. Die Energiekonzerne können im Kapitalismus nur existieren, wenn sie immer mehr verkaufen, also immer mehr Energie verbraucht wird.

Es ist verrückt: Ausgerechnet die Eigentümer und Kontrolleure der Energieproduktion haben das Ziel, dass immer mehr Energie verschwendet wird – und sie sind erfolgreich. Mit diesem Wirtschaftssystem kann das Klima nicht gerettet werden.

Da werden Schulstreiks nicht ausreichen …

Richtig. Die Demonstrationen von »Fridays for Future« sind sehr wichtig, aber wir müssen weiter gehen, zum Beispiel indem wir die Kohleförderung direkt blockieren. Deshalb organisiert »Ende Gelände« vom 19. bis 24. Juni die Blockade des Braunkohletagebaus Garzweiler bei Mönchengladbach.

Wie läuft das ab?

Wir haben in diesem Zeitraum ein großes Camp nahe des Tagebaus. Unser Ziel ist, von mehreren Seiten gleichzeitig in die Grube zu gehen und den Abbau der dreckigen Braunkohle mehrere Tage zu blockieren, unter anderem indem wir Schaufelradbagger besetzen.

Aktivist*innen auf dem Weg zum Tagebau, Ende Gelände 2018.
Quelle: ende-gelaende.org; Fotos und Videos

Wer kann da mitmachen?

Absolut jede und jeder. Wer nicht so drauf steht, Polizeiketten zu durchbrechen, kann auch im Camp bleiben und Reproduktions-Arbeit machen. Das ist genauso wichtig: ohne Essen keine Blockade.

Warum dieser Tagebau?

Der Braunkohletagebau im Rheinland ist der größte CO2-Verursacher Europas. Wenn wir ihn stoppen, haben wir einerseits viel zum Schutz des Klimas beigetragen. Gleichzeitig zeigen wir nach dem Erfolg im Hambacher Wald erneut, dass RWE geschlagen werden kann.

Wir können den Klimawandel stoppen, genau hier, genau jetzt. Wir müssen das selbst tun: Niemand anders wird den Job erledigen.

Wie reagiert die Politik auf euch?

Mit Unterdrückung. Das Recht auf zivilen Ungehorsam wird Stück für Stück abgeschafft.

In Deutschland?

Allerdings. Mit dem neuen Polizeigesetz hat die nordrhein-westfälische Regierung im Dezember den maximalen Polizeigewahrsam für Demonstrantinnen und Demonstranten, die ihre Personalien nicht angeben, von 12 Stunden auf 7 Tage verlängert. Das richtet sich vor allem auch gegen »Ende Gelände«. Damit wollen sie unsere Aktionen schwächen.

Sind eure Aktionen illegal?

Wir machen nichts kaputt. Wir besetzen nur.

Aber das Eindringen in den Tagebau …

… ist eine Ordnungswidrigkeit. Aber wir müssen bedenken: In Zeiten großer Veränderung musste das bestehende Recht immer wieder übertreten werden, um es zu verändern. Hätten Frauen nicht irgendwann massenhaft Straftaten begangen, dürfte ich als Frau heute nicht wählen oder abtreiben.

Ist das mit dem Braunkohleabbau vergleichbar?

Ja. Wir sind die letzte Generation, die die Zerstörung der Welt aufhalten kann. Greta Thunberg hat gesagt: »Unser Haus brennt«. Wir sind die letzten, die es löschen können. Und wenn wir das tun, fragen wir nicht, ob wir das Recht haben, den Tagebau zu betreten. Wir löschen einfach, weil es sonst keiner tut.

Einer eurer Slogans ist »Kohleausstieg ist Handarbeit«

Das bedeutet, dass wir jetzt selbst handeln müssen und können. Menschen ertragen oft schlimme Zustände, weil sie glauben, dass man nichts verändern kann. Aber das hat sich in der Geschichte wieder und wieder als falsch erwiesen.

Es gab immer wieder Momente, an denen die Menschen aufgestanden sind und gesagt haben: »So nicht«. Ein solcher Moment ist jetzt gekommen.

Warum glaubst du das?

Wir leben im 21. Jahrhundert mit einem Wirtschaftssystem aus dem 19. Jahrhundert. Für die Kohle haben wir im Rheinland und in der Lausitz tausenden Menschen die Häuser weggenommen, ganze Dörfer abgerissen, obwohl wir alle wissen, dass diese Technik keine Zukunft hat und wir alle mehr Klimaschutz wollen. Wir müssen den herrschenden Konzernen die Macht entreißen, sonst zwingen sie uns eine Politik auf, die 90 Prozent der Menschen falsch finden.

Was ist mit den Arbeitsplätzen?

Ein Teil davon bleibt erhalten, wenn wir den Tagebau zurückbauen und Wiesen, Wälder und Seen anlegen. Deutlich mehr Arbeitsplätze können wir aber mit den erneuerbaren Energien schaffen.

Das Problem ist, dass die Politik jahrzehntelang den Umstieg auf Erneuerbare verweigert und den Beschäftigten entgegen besseren Wissens erzählt hat, sie könnten für immer im Tagebau arbeiten.

Verstehst du, dass dieIG BCE die Jobs im Bergbauerhalten will?

Nein. Denn auf einem toten Planeten gibt es gar keine Arbeitsplätze. Die Jobs im Tagebau haben so viel Zukunft wie die Herstellung von Röhrenfernsehern oder Telefonen mit Wählscheibe. Die Lösung ist, den Menschen zukunftsfähige Arbeitsplätze anzubieten, nicht den Kohleabbau der Vergangenheit fortzusetzen.

Im Mai waren Europawahlen. Was hast du gewählt?

Das bestehende politische System hat es nicht geschafft, die Klimakrise zu lösen. Damit hat es sich in meinen Augen disqualifiziert. Alle Parteien, die an die Macht kommen, verraten ihre Ideale – das sieht man an den Linken in Brandenburg, die mithelfen, unseren legitimen Protest zu kriminalisieren, und an den Grünen in Baden-Württemberg, die weiter auf Wachstum setzen. Unsere Antwort muss daher sein, uns unserer eigenen Macht bewusst zu werden und sie zu nutzen. Politik machen heißt für mich deshalb in erster Linie, selbst aktiv zu werden – nicht alle vier bis fünf Jahre ein Kreuzchen auf Papier zu setzen.

Kann ich bei »Ende Gelände« auch an meinem Wohnort mitmachen?

Ja. Wir sind ein Bündnis mit Ortsgruppen, bei denen jede und jeder, der das Klima retten will, herzlich eingeladen ist. Alle Gruppen und Informationen zur nächsten Aktion stehen auf www.ende-gelaende.org

Nike, wir danken dir für das Gespräch

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